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Dokumentation

2. Fachgespräch Kunst Bildungschancen der Gegenwartskunst

dOCUMENTA 13So fragte zum Beispiel Katharina Mantel, leitende Museumspädagogin im MMK Frankfurt, in Ihrem Beitrag: Was passiert, wenn Kinder auf zeitgenössische Kunst treffen? Warum haben wir ein Interesse daran, dass Kinder auf diese Kunst treffen?

Ursula Rogg, Kunstpädagogin aus Berlin, plädierte für ein „selbstständiges Denken lernen“ der jungen Menschen und erinnerte an  die Kultur des „Darüber-Sprechens“. Ihrer Meinung nach  ist ein wichtiges Ziel erreicht, wenn jemand über die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk etwas sehen kann, dass er vorher nicht gesehen hat.

In Form von Impulsvorträgen, Workshoparbeit und Austauschrunden wurden diese zwei Tage für die gut 50 Teilnehmenden zu einer intensiven und inspirierenden Begegnung. Das lag zum einen an den Experten und ihren sehr unterschiedlichen Positionen. Acht Vorträge am ersten Tag  ließen - auch durch Kontroversen - die Anregungen nachhaltig werden. Zum anderen waren die meisten TeilnehmerInnen hoch motiviert und aus unterschiedlichsten Kontexten: MuseumspädagogInnen, LehrerInnen, auch aus Studienseminaren, KünstlerInnen und Kulturbeauftragte, was ebenso zur Bereicherung der Veranstaltung beitrug.

 

Die Referenten und die Vortragsreihe

Am Nachmittag wurden in einem Plenum die Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt und diskutiert unter Leitung der Moderatoren:
Dr. Michael Grauer und Ulrike Linz.

Für die Workshops sowie das Plenum standen die Leitfragen im Mittelpunkt der Interessen:

  • Welche Bildungschancen bietet die Gegenwartskunst?
  • Welche Schlüsse lassen sich über ein Lernen und Leben in der Zukunft ziehen?

Weitere Fragen, die in den Workshops gestellt wurden, hier notiert:

  • Warum geht wer (nicht) durch eine Ausstellung?
  • Reicht ein emotionaler persönlicher Zugang aus oder sind Informationen wichtig? Welche, für wen?
  • Was ist überhaupt Kunst und wie kann man darauf reagieren?
  • Ist Kunst beurteilbar?

Oder für den Unterricht an Schulen:

  • Wie lenke ich 30 Prozesse im Unterricht?
  • Wie initiiere ich selbstmotivierte Prozesse?
  • Wie gehe ich mit Schwierigkeiten um?
  • Wie komme ich ins Gespräch?

Erkannt wurde im Austausch:

  • den Rezipienten ernst zu nehmen und sein Freiwilligkeit sind Voraussetzungen;
  • auch durch eine pädagogisch vorerst fragwürdige, rein spielerische, lustvolle Annäherung sind die Sinne der Rezipienten  erweiterbar und Zugänge möglich; das hieße auch, in der Schule mehr kreativen Raum zu ermöglichen;
  • Entschleunigung als ein Ziel;
  • pädagogische Umgangsweisen sind vor allem bei zeitgenössischer Kunst notwendig;
  • verschiedene Formen der Auseinandersetzung sind interessensorientiert erforderlich;
  • ohne Gesprächskultur und Selbstreflexion geht es nicht;
  • ein Kunstrezipient kann trotz Ängsten lernen, sich anderem/anderen zu widmen, damit vielleicht auch praktisch umzugehen, und erleben, dass dieser Umgang mit sich selbst zu tun hat;
  • im Idealfall erfährt ein Rezipient im Austausch, dass er selbst seine Welt gestaltet.

Ausklang: Eine anregende Idee für alle Teilnehmer hatte vor seinen Schlussworten Dr. Grauer:

"Bilden Sie einen Satz mit mindestens 35 Wörtern, der Ihre Sicht in Bezug zu den Inhalten der Tagung und/oder Ihnen wichtigen Themen zu zeitgenössischer Kunst beinhaltet."

Hier drei Beispiele:

"Vorsatz: Sich jedwedem Kunstwerk unbefangen zu nähern, einer Zeile wie einem Gedicht, einer Notiz wie einer Kalligraphie, einem Handabdruck wie Malerei, Kastanienraupen wie Skulpturen, Sandkuchen wie atemberaubender Landart - es auf sich wirken lassen ohne Informationskatalog."  Constanze Schneider

"Gegenwartskunst macht sichtbar, was für sie  die jetzt wichtigen Fragen/ Beschäftigungen sind - dabei geht es um das Verstehen des Fremden/ des Anderen, darum hierdurch das Entfernte zu verstehen - Staub aufzuwirbeln, um neu zu sehen."  Christa Boiselle

"Von ausgezeichneten (sehr d13-kritischen) Bergführern an die Hand genommen, lauschten wir auf den Höhenpfaden der Geistesgeschichte Stimmen aus dem Jenseits  und wurden schließlich mit Berichten aus der Praxis geerdet - für mich besonders eindrucksvoll im Hier und Jetzt des "Vermittlungsraums" Kunst, der "Kunst und eben" neu fokussiert."  Brigitte Halder-Kaplan

 

Nach diesen einfallsreichen, aber auch nachdenkenswerten vorgetragenen Sätzen erreichte Dr. Michael Grauer einen gelungenen Rückblick der Tagung: die bei "gleich bleibendem Niveau an Konkretion zunahm", und sehr inspirierend einen philosophischen Ausblick zu geben. Seiner Meinung nach ermöglicht die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst: „Heimat zu finden in dieser Welt“. Er bezog sich auf Ernst Bloch, als er sagte: … sich mit Gegenwartskunst zu beschäftigen kann eine „Springwurzel“ sein, „die das Leben aufwiegelt und ihm Glanz gibt.“

Aber er gab auch zu bedenken, dass die Sphäre von Kunst ein Ausnahmezustand sei, und wenn es uns gelänge diesen in unsere Lebenswege zu verwandeln, dann wären wir Götter. Sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen sei ein steiniger Weg. „Sie haben sich Teuflisches vorgenommen.“ Dr. Grauer schließt die Tagung mit einem ermutigenden Gleichnis von  Bernhard von Chartres (1120), wir sollten dennoch unser „Zwergendasein an Riesen erproben“.

Hinweis: „Die Zwerge profitieren von den Pionierleistungen der Vergangenheit. Indem sie dem vorgefundenen Wissensschatz ihren eigenen bescheidenen Beitrag hinzufügen, kommt Fortschritt zustande. Nur auf diese Art können die Zwerge die Riesen überragen. (Quelle:Zwerge_auf_den_Schultern_von_Riesen)

 

Fazit: Die Chance der zeitgenössischen Kunst ist es, die Kompetenzen zu schärfen für: Selbstwahrnehmung, Toleranz, Offenheit, Reflektion, Verständnis und Kommunikationsfähigkeit. Sich ein Kunstwerk zum „inneren Schatz“ zu machen, weil es berührt und die Sinne öffnet für neue Erfahrungen, die verknüpfen, entziffern, entschlüsseln, assoziieren und relativieren,  war  für die Teilnehmenden dieser Tagung Sinn und Neigung ihrer pädagogischen Arbeit.

Wer Interesse hatte, konnte nach der Veranstaltung an einer dTour Führung zur dOCUMENTA (13) teilnehmen, die von geschulten Personen, den »Worldly Companions« geleitet wurde: Kulturbahnhof, documenta-Halle & Neue Galerie oder Ottoneum & Karlsaue wurden angeboten.

Wir danken an dieser Stelle herzlich allen, die diese bereichernde Fachtagung möglich gemacht haben und sich mit Ihren Ideen und Ihrem Engagement beteiligt haben.

Folgende Texte auf der Basis der Vorträge der Tagung können als PDF eingesehen und downgeloaded werden. Neu und interessant für hessische LehrerInnen könnte außerdem der Beitrag von Tanya Gotta-Leger sein, die aus der Sicht der Teilnehmerin den Wokshop „Formatprobe Studio d(13)“ auch für den kompetenzorientierten Unterricht reflektiert. Unseren besten Dank den Autoren!

 

Lebendige Kultur. Selbst- und Weltverständigung im Kontext zeitgenössischer Kunst

Der Einführungsvortrag zur Tagung verknüpft geschichtsphilosophische, kunsttheoretische und pädagogische Argumentationslinien. Doch die Theorie ist, wie sich zeigt, von der gesellschaftlichen Wirklichkeit weit entfernt. Die sachliche Bestimmung des Nutzens ästhetischer Erfahrungsweisen hat alle methodischen Anstrengungen vor sich, bis der als chancenreich erkannte Sachgegenstand zum handhabbaren Lerngegenstand werden kann. Kunstpädagogik realisiert sich im Handgemenge der Praxis.

Michael Grauer, Dr. phil., verschiedene Tätigkeiten im Bereich von Schule, Hochschule und Museum, Fachseminarleitung für Bildende Kunst am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg.

 

Zwischen Differenz und Kohärenz: Bildungschancen der Gegenwartskunst

Im Beitrag werden zunächst historische Vermittlungsansätze zu den documenta-Ausstellungen knapp vorgestellt, um dann die 13. Ausgabe dieser Weltkunstausstellung kritisch auf die Bildungschancen hin zu befragen. Johannes Kirschenmann kommt dabei zu einem ernüchternden Fazit gegenüber den künstlerisch wenig anspruchsvollen Statements, die die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev mit ihrem „Konzept der Konzeptlosigkeit“ unter ihrem letztlich konservativen Diktat versammelt hat.

Johannes Kirschenmann, Dr. phil., lehrt seit über 30 Jahren an verschiedenen Institutionen als Kunstpädagoge und publiziert zu verschiedenen Aspekten der Kunstdidaktik.

 

Das Unwahrscheinliche, das Reale und das Wasser

In ihrem Beitrag  überprüft Ursula Rogg die Anwendbarkeit eines Bildungsbegriffs von D. Foster Wallace auf ein aktuelles Werk kontextueller Kunst von Garcia Torres (dOCUMENTA 13) und geht dessen Lesbarkeit und möglicher Wirkung nach. Es entsteht ein Plädoyer für das Unwahrscheinliche Denken / Das Denken in Unwahrscheinlichkeiten. Wie ein solches im künstlerisch-edukativen Arbeiten fruchtbar gemacht werden kann, wird anhand eines aktuellen Kooperationsprojektes zwischen Schule und Museum dargestellt.

Ursula Rogg,  Künstlerin, Kunstpädagogin und Autorin. Sie studierte an der UdK Berlin, der Kunstakademie München und am Goldsmith´s College London Freie Kunst und Kunstpädagogik.

 

Perspektivwechsel

Was passiert, wenn Kunstpädagogen/-pädagoginnen und Kunstvermittler/-innen sich einem Perspektivwechsel unterziehen und das dOCUEMENTA (13)-Vermittlungsangebot für Kinder- und Jugendliche live durchspielen? Dies skizziert  Tanya Gotta-Leger anhand eines Erlebnisberichts, der ohne Schüler stattfand. Anschließend überprüft sie welche „Bildungschancen der Gegenwartskunst vor dem Hintergrund der d13“ sich davon ableiten und inwiefern sich diese im Kontext der hessischen Bildungsstandards im Fach Kunst verorten lassen.

Tanya Gotta-Leger, Studienrätin für Kunst und Deutsch; Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Bildungsstandards Kunst am Institut für Qualitätsentwicklung (IQ) Hessen; Mitarbeit im Projektbüro Kulturelle Bildung vom Hessischen Kultusministerium, Schwerpunkt Kunst; Medienreferentin vom BDK - Fachverband für Kunstpädagogik e.V. Hessen; Systemischer Coach.

 
Weiterführende Informationen

Als PDF finden Sie die Schrift: Kontext Schule. Die Inhalte dieser Arbeit werden das Thema des nächsten Fachgespräches 3 im März 2013 sein, das vernetzenden Charakter hat.

Wer ein gedrucktes Exemplar möchte, sendet bitte einen adressierten und mit 1,45€ frankierten Umschlag an: 

Frau Hennig, KontextSchule, Förderverein Kunst im Kontext e.V. c/o Institut für Kunst im Kontext, Einsteinufer 43-53, 10587 Berlin.

Der Link zum Film von Frau Rogg, für den leider kaum Zeit war und der sehr sehenswert ist:
„Ohnmacht, Angst, Verzückung - ein Museum der Gefühle." Ein Projekt von Anja Edelmann, Alexandra Kersten und Ursula Rogg.


Ein Link zur Filmaufnahme einer kritischen Rede von Dr. Kimpel zur dOCUMENTA 13:
http://vermittlung-gegenwartskunst.de/harald-kimpel-documenta-13-eine-geistesverfassung/

 

Als PDF Informationsmaterial zu interessanten Seiten im Netz, die sich mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen (zur Verfügung gestellt von Prof. Kirschenmann).